Die Abstumpfung
Ach, lernen. »Lernen«, meine ich. Gedankenverloren blätterte ich gerade durch mein Textbuch für den Konversationsunterricht und mir fiel auf: Wie lange ich kein solches Lehrbuch mehr überflogen habe!
Lehrbücher, in ihrer heutigen Form – wobei ich keine Vergleichsmöglichkeiten habe – sind der natürliche Feind jeder Kreativität und jedes freien Lernens. Lehrbücher sind Anti-Bücher. Bücher regen zum Denken an, zum Abschweifen. Lehrbücher binden die Gedanken auf das Vorliegende. Sie versuchen es zumindest, bei mir klappt es jedenfalls nicht. Leider.
Ich schaue in meiner Freizeit nicht in Lehrbücher, weil ich weiß, darin nichts von Interesse anzutreffen. Warum nicht? Ich will doch genau das lernen, was die Lehrbücher zu vermitteln gedenken. Warum also nicht einen Blick hinein werfen, so ab und an? Weil sie ihre Leserinnen konstant unter- und überfordern. Das sprachliche Niveau sollte einen leicht überfordern, tut es meistens auch, wenn man das richtige Buch hat, und das inhaltliche Niveau sollte einen zum Nachdenken fordern, was es nicht tut. Es unterfordert konstant.
Ich mag dies nicht den chinesischen Lehrbüchern auf meinem Tisch ankreiden, denn als ich darüber nachdachte, da fiel mir auf, daß es doch eigentlich schon immer so war. In der 5. Klasse in Englisch hatte man das Gefühl Bücher für Grundschüler in der Hand zu haben. In Latein in der 7. war es ähnlich, wobei nicht ganz so schlimm, weil die Geschichten allesamt in der Antike spielten und deswegen nicht ganz so lächerlich wirkten. In Französisch in der 9. Klasse war die Geschichte mit dem Jungen, der Alkohol auf eine Party mitbringt, um zu imponieren, jedoch von den anderen–in dem festen Glauben, dass Alkohol schlecht, nein, eine Ausgeburt der Hölle sei–verstoßen wird, diese Geschichte war weniger zum Lachen als zum Heulen.
Erst in der Oberstufe, mit diesem Post-Colonialism-Geschichtenband in Englisch drehte sich das Blatt. Bei diesem handelte es sich aber auch nicht um ein wirkliches Lehrbuch, da keine Sprache mehr erklärt wurde, eher um Unterrichtsmaterial. Warum also tun sich Lehrbücher so schwer mit Inhalt, der die Lernenden nicht unterfordert? Es sollte doch klar sein, dass Interesse und immersion ziemlich hilfreich beim Erlernen einer Sprache sind. Ich weiß es nicht.
Eine zweite Überlegung zu diesem Thema: Kann es sein, dass es mehrere, zumindest zwei Arten gibt, eine Sprache zu lernen? Allgemein gestellt, wäre diese Frage wohl zu vage, aber mir geht es wieder um den Bezug zu Lehrbüchern. Schema F–Text, Vokabeln, Erklärungen, Übungen–ist weit verbreitet, aber gibt es Schülerinnen, die damit nicht so gut zurecht kommen? Ich persönlich würde mich als Langzeitlerner charakterisieren. Ich lerne Vokabeln lieber in Texten mit mehrmaligem Nachschlagen (geht ja schnell heutzutage) als auf Karteikarten. Ich würde lieber einen drei-seitigen Text lesen in dem fünf mal eine gewisse grammatikalische Konstruktion vorkommt, als diese Konstruktion fünf mal in untereinander geschriebenen, unzusammenhängenden Sätzen vorzufinden.
Die meisten der Übungsaufgaben in den Büchern empfinde ich deshalb als für mich wenig hilfreich. Noch dazu, wenn sie Hausaufgaben sind. Gibt es irgendwo einen Lerntyp Unterrichtsmensch definiert? Ich hätte liebend gern die doppelte Menge an Unterricht, wenn dafür der Zwang, Hausaufgaben zu erledigen, entfiele.