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Einige Gedanken zum Spracherwerb

Einleitung

Es ist angemessen, zu sagen, dass nicht nur ich, sondern auch einige meiner Freunde derzeit mit den Sprachkursen hier in China nicht recht zufrieden sind. Das hängt meines Erachtens nach mit der schulhaften Konzipierung des Unterrichts zusammen. Es folgen zwei Faktoren, die mich persönlich daran sehr stören.

Fragmentierung

Endlich mal wieder eine Gelegenheit, das Wort »komplementär« zu verwenden. Ich habe jede Woche fünf verschiedene Kurse: Allgemeines Chinesisch, Lesen, Schreiben, Reden, Grammatik. Der Kurs, der eigentlich für die Vermittlung neuer Vokabeln gedacht ist, Allgemeines Chinesisch, erfüllt seine Aufgabe auch recht gewissenhaft. Ebenso gut werden im Lesekurs textspezifische Vokabeln nur kurz angeschnitten, nur auf das Lernen von Redewendungen wird Wert gelegt. Grammatik hält sich aus dem Thema Vokabeln gänzlich raus, und im Schreibkurs werden nur bekannte Wendungen wiederholt und vertieft. So weit, so gut. Bis auf den Redekurs. Der sollte nämlich eigentlich »Vokabeln lernen durch mündliche Repetition« heißen. Aber abgesehen davon, dass ich nicht das Gefühl habe, ordentlichen Konversationsunterricht zu erhalten, stört mich eine Sache noch viel mehr: Fünf Kurse sind zu viel. Jeden Tag überlegen zu müssen, in welchem Kurs man welche Hausaufgaben hatte, was genau in einem Text stand, und was genau man nochmal anschauen sollte. Der organisatorische Aufwand ist mir persönlich da einfach zu groß. Ohne Frage hat der Grammatikkurs seine Existenzberechtigung, aber zumindest den Lese- und Konversationskurs sollte man besser in Allgemeines Chinesisch integrieren. Das hat ja bereits den passenden Namen. Den Schreibkurs, der wöchentlich eh nur zwei Zeitstunden einnimmt darf auch gerne getrennt bleiben.

Mir würde so eine Integration helfen, eine Lehrerin (kein generisches Femininum, es gibt hier halt einfach keinerlei Lehrer) wäre damit für einen Großteil des Unterrichts zuständig, könnte die Schülerinnen besser einschätzen etc.

Zur Selbstbezeichnung

»Schüler«, ja, wir sind hier keine Studenten und keine Kommilitonen. Ich wollte schon in der Mittelstufe nicht mehr anhand tröger Texte über Klische-Thema XY lernen, und jetzt will und kann ich es erst recht nicht mehr. Anspruchsvoll, sprachlich allemal, aber inhaltlich – ich tendiere zu einem Nein. Wir lesen, schreiben und unterhalten uns zwar über Texte, die einen einigermaßen interessanten Gegenstand behandeln, aber meistens bleiben diese inhaltlich sehr, sehr flach. Texte über chinesische Schrifsteller, Geschichten von Brücken, persönliche Schicksale – ein Räuber, der zwei Jahre versteckt lebte und sich dann nach Briefwechsel mit einer Zeitungsredakteurin der Polizei stellt, um seine Familie wiederzusehen – scheinen auf den ersten Moment interessant, enttäuschen dann aber durch bloße Tatsachenbeschreibung, ohne wirkliches Narrativ und ohne jeglichen(!) intellektuellen Anspruch.

Warum muss ich mir denn selbst eine Geschichtensammlung Lu Xuns kaufen und sie alleine lesen? Warum überhaupt gehen die Texte, die wir lesen nie über drei DIN-A4 Seiten hinaus? Wie wäre es mal wieder mit einem guten Buch? Vielleicht das Angebot eines chinesischen Filmabends? Warum überhaupt erlauben sich unsere Lehrerinnen höchstens ein, zwei Sätze zu wirklich interessanten Aspekten, die in manchen Texten auftauchen?

Lehrerin so: »Yao, Shun und Yu waren sehr, sehr gute Herrscher.«
Ich so: lacht.
Wozu ist man denn in einem Sprachkurs hohen Niveaus, wenn dann die mythischen Herrscher Chinas mit Kindersprache »erklärt« werden?

Ich, und einige andere wahrscheinlich auch, lernen am Besten, wenn ich mich für eine Sache begeistern kann. Und fast gar nicht, wenn ich das nicht tue. Und ich begeistere mich zwar für Grammatik, aber nicht für Vokabeln und die ganze Semantik, die auch im Grammatikunterricht subsumiert wird. Für wirkliche Begeisterung ist eben sinnvoller Inhalt nötig. Einige chinesische Podcasts habe ich immerhin schon gefunden, Blogs brauche ich noch ein paar mehr in meinem Reader. 我行我素 (ungefähr: »wie gewohnt weitermachen«, »sein eigenes Ding machen«).

Etwas Aufmunterndes von Robert Pirsig: »The best students are always flunking.« Aber das kommt natürlich auf die Definition von »gut« an.

Obligatorische offene Fragen am Ende

Lu Xun wird wohl schon seit einigen Jahre immer mehr aus Lehrbüchern gestrichen, dass seine Werke nicht in das derzeitige Kulturbild der chinesischen Führung passen, ist auch offensichtlich. Inwiefern die Herrschaft der KPCh eine Rolle in der Gestaltung von Bildung und Unterricht spielt – nicht nur auf konkreter politischer Ebene, sondern ideologisch und philosophisch –, kann ich nicht beurteilen.

Und noch ein kleines Eingeständnis: Die Vokabeln, Sprichwörter und Grammatik, die wir lernen sind natürlich nicht unnütz. Aber la langue pour la langue ist einfach nicht der richtige Ansatz für mich. Ach, ach.